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Vorbemerkung von woklonline:
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In einem Beitrag auf woklonline hatte ’IM Kreuzritter’ im Zusammenhang mit medienwirksamen Inschutznahmen der unter Plagiatverdacht gestellten Bundesbildungsministerin Schavan aus Unterstützerkreisen Äußerungen von Helmut Herles thematisiert. [1] Dabei wurde Herles mit seiner Qualifizierung der Plagiatsjäger als “selbsternannte Stasi“ zitiert. Blogger ’Kreuzritter’, aus gegebenem Anlass selbstironisch ’IM Kreuzritter’, bereits im GuttenPlag aktiv, Ex-User (?) von VroniPlag [2] greift im nachfolgenden Beitrag auf, dass Herles mit seinem Stasi-Vergleich nicht allein steht.
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Plagiatsjäger: “Selbsternannte Stasi“ (Herles) – Nachbetrachtung
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von: IM Kreuzritter
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Seit GuttenPlag [1] setzt sich die öffentliche und die veröffentlichte Meinung mit dem Phänomen netzgestützter Plagiatssuche und –dokumentation auseinander. Bis in die Gegenwart kam es dabei zu verbalen Exzessen, nicht nur von Usern der Foren der genannten Plattformen der Plagiatedokumentation (s. z.B. [2]) oder der Foren der Online-Medien (s. z.B. Kommentar #12, 14.10.2012 16:57, von jjcamera [3]), sondern auch in Teilen der veröffentlichten Meinung. Da wurden Vergleiche angestellt zu Schauprozessen und Denunziantentum in kommunistischen oder nationalsozialistischen Systemen, es wurde gesprochen von „Pranger“, „Schnüffler“.
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Nicht nur Plagiatsjäger, besonders gern Heidingsfelder provozieren anscheinend gern solche Vergleiche. In einem Gastbeitrag (Titel: “Wenn aus dem Plagiatsvorwurf eine Hetzjagd wird“) vom 13.02.2013 in sueddeutsche.de fühlt sich Prof. Winnacker durch das Verfahrensverhalten der Uni Düsseldorf vorgeblich erinnert an die Zeit der Jakobinerherrschaft:
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»Mein Ausgangspunkt ist die geradezu jakobinisch anmutende Entscheidung der Philosophischen Fakultät der Universität Düsseldorf, Annette Schavan den Doktortitel abzuerkennen. Jakobinisch deshalb, weil auch damals, kurz nach der Französischen Revolution, Menschen in Hetzjagden verfolgt wurden, die dieses nicht verdient hatten.«
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Interessant auch Prof. Reinitzers Nazi-Vergleich, den almasala (the hobo and the gypsy) am 16.02.2013 bereits mit einem Blogbeitrag ’honorierte’. [5]
Es sei zum Beispiel auch erinnert an Hajo Schumacher und seine Empörung über „elende Selbstgerechtigkeit der digitalen Blockwarte“ sowie an Gegenreaktionen [6]. Auch das in der Causa Schavan beobachtete Phänomen von “Seilschaften“ wurde bereits damals aufgedeckt. [7]. In diesem aufgeheizten Klima fand Schadenfreude zuweilen ihr wohlfeiles Opfer [8]
Verunglimpfungen gab und gibt es auf allen Seiten der Debatten. Helmut Herles war nicht einmal der Erste, der den Vergleich mit Stasischnüfflern [9] in Umlauf brachte, wie gleich deutlich werden wird.
Bereits im Januar 2013 hatte sich eine lebhafte Debatte zu Irrungen und Wirrungen in der Plagiatjägerszene entzündet, insbesondere in Reaktion auf Martin Heidingsfelders Gründung des PolitPlag Wiki am 14. Januar.
Und so begab es sich, dass bereits vor Herles’ Auftritt bei phoenix ein Stasi-Vergleich in die Diskussion eingebracht wurde, nämlich in einem Blog vom 24. Januar.
Um indes die nachfolgenden Debattenbeispiele mit z.T. recht divergierenden Bewertungen transparenter vergleichen zu können, scheint mir vorab folgende Differenzierung hinsichtlich der Objektebene der verschiedenen Meinungsäußerungen hilfreich:
a) nicht-kommerzielle Plagiatsuche
b) kommerzielle Plagiatsuche als solche
c) speziell auf promovierte Politiker im Wahljahr hin per Liste formuliertes Angebot zu kommerzieller Plagiatsuche (PolitPlag-Projekt).
Michael Schmalenstör stellte am 23.01.2013 in seinem Blog “PolitPlag – eine ganz schlechte Idee “ [10] darauf ab:
»Plagiatsprüfung gegen Geld, damit kann man ganz sicherlich nicht den Vorwurf entkräften, dass es den Plagiatsjägern nicht um die Wissenschaft geht, sondern um politische Blutgrätschen.«
»Wer Plagiatsprüfung als Mittel des Rufmordes in die politische Praxis einbringt, zerstört ihren eigentlichen Zweck: Die wissenschaftliche Redlichkeit.«
Er führt dann aus:
»So ein Dienst zerstört nachhaltig den Ruf und die moralische Autorität von Personen, die sich wirklich um wissenschaftliches Fehlverhalten sorgen.«
Das Blog von almasala vom 24.01.2013 “PolitPlag: Die Plagiat-Stasi “ [11] trennt hierzu ebenfalls sehr scharf: »Es ist nicht verwerflich, für Geld wissenschaftliche Arbeiten zu untersuchen. Es ist aber verwerflich, nach dem Prinzip des “racial profiling” oder der Rasterfahndung Auftragsarbeiten anzubieten.«
Unter anderem sieht almasala durch die “PolitPlag“-Aktion das Verhältnis zwischen Bürgern und Politikern verstärkt beschädigt: Sie trage bei “zu einer völlig unnötigen Vergiftung des ohnehin schon belasteten Verhältnis zwischen Bürgern und Politikern“:
»Denn zum einen entsteht der Eindruck, dass die Sonderbehandlung der Politiker einen berechtigten Grund haben wird. Zum anderen fühlen sich Außenstehende bei jedem neuen Plagiatsfall in ihrer pauschal schlechten Meinung über Politiker bestätigt.«
Der Frage, ob es nicht einen berechtigten Grund geben könne, geht almasala nicht nach. Vielleicht hätte almasala mal sich mit folgender Einschätzung von Erbloggtes vertraut machen sollen:
»Der Entzug des Doktortitels ist der Ausschluss aus der Wissenschaftlergemeinschaft wegen fehlender Wahrhaftigkeit, in Deutschland durchgeführt durch die promoviertende [sic] Hochschule und auf Grundlage des Rechtsstaats. Die offizielle Feststellung fehlender Wahrhaftigkeit entzieht Politikerinnen und Politikern in Deutschland zugleich eine Ressource, ohne die sie nicht glaubwürdig als Repräsentanten agieren können.« [12]
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Ein “berechtigter Grund“ gesucht? Und sei es vielleicht auch noch, dass mit dem Projekt PolitPlag ein Versuch gestartet sein könnte, mittels der Plagiatuntersuchung einen Teil der Führungseliten, nämlich den promovierten und in diesem Fall den politischen, daraufhin abzuklopfen und sichtbar zu machen, wie sie jeweils im “Nutzfreundschaftsnetzwerk“ (Kaube) verlinkt sind. Die aus Naivität oder auch aus solcher Interessenlage heraus vorgebrachte Verjährungsidee für Plagiatsdelikte (u.a. Historiker Paul Nolte,FU Berlin, Jurist Wolfgang Löwer, Bonn) zeigt nur zu deutlich, dass Teile des politischen und des akademischen Führungspersonals in Verteidigungsstellung gegangen sind. Strategische Leitidee scheint inzwischen immer hemmungsloser zu sein: Angriff – zum Beispiel auf die Universitätsgremien bzw. Einzelpersonen dieser Gremien der Uni Düsseldorf – ist die beste Verteidigung. Sicher war es nur ein unglücklicher Zufall, dass erste Verjährungsforderungen 2012 laut wurden, nachdem VroniPlag Wiki erste Plagiatsuntersuchungen bei HochschullehrerInnen auf der Hauptseite veröffentlicht hatte.
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In Richtung Nutzfreundschaftsnetzwerk weist auch der Artikel von Simone G. auf Causa Schavan (18.02.2013) und darin der famose Begriff “getreue Springteufelchen der ehemaligen Ministerin“ [Schavan/Verf.] [13]
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Es sei noch einmal erinnert an Jürgen Kaube und seinen am 23.01.2013 erschienen Artikel (FAZ.net) mit dem Titel “Der Fall Schavan – Frau Jedermanns Plagiat“, namentlich der Absatz mit dem Untertitel “Im Nutzfreundschaftsnetzwerk“. [14]
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Im letzten Absatz bedient sich almasala dann eines rhetorischen Kunstgriffs, indem er virtuell Henryk Broder den PolitPlag-Aktionisten Heidingsfelder bezeichnen lässt »als lupenreinen Politrassisten […], einen kleinen Wissenschaftsmielke von nebenan, der mit seiner Gesinnungsschnüffelei, Überwachung und Terrorisierung von Politikern eine gute Karriere bei der Stasi gemacht hätte.« Das liegt nahe beim Tenor von Schmalenstör (doppelter Rufmord: Politiker, redliche Plagiatsjäger).
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Demgegenüber stellt Erbloggtes am 24.01.2013 die These von Schmalenströr zur fragenden Disposition und betont, dass keine Werbung für “solch irritierendes Projekt“ beabsichtigt sei. Erbloggtes fokussiert »die schiere Existenz so eines kommerziellen Angebotes« und setzt sich kritisch mit der Argumentation von Schmalenstör auseinander, nicht mehr und nicht weniger. Um dies völlig klar zu machen, schließt Erbloggtes mit den Worten:
»Inwiefern PolitPlag eine ganz schlechte Idee ist, das lässt sich mit der hier diskutierten Begründung nicht sicher sagen. Vielleicht gibt es aber andere Begründungen, mit denen sich das Projekt schon vorab verdammen lässt. Ansonsten wird man wohl abwarten müssen – und nicht alles glauben, was man nicht selbst überprüfen kann.« [15]
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Peter Viebig (VIP) stellte am 31.01.2013 die Frage: “Wie redlich müssen Plagiatsjäger sein?“ [16] und setzt sich dabei auch mit den Blogbeiträgen von Schmalenstör und Erbloggtes auseinander. Der Autor zitiert Schmalenstör mit dem Satz:
»Plagiatsprüfung gegen Geld, damit kann man ganz sicherlich nicht den Vorwurf entkräften, dass es den Plagiatsjägern nicht um die Wissenschaft geht, sondern um politische Blutgrätschen.«
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Und zeigt dabei nebenbei auf, dass Schmalenstör im Unterschied zur scharfen Trennung bei almasala die Ebenen kommerzieller Plagiatsprüfung und öffentlichem Auffordern zur Untersuchung der Dissertationen listenmäßig ausgewiesener promovierter MDB (Projekt PolitPlag) nicht auseinanderhält.
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Martin Heidingsfelder und sein Projekt “PolitPlag“ [17] wurde von mehreren Seiten, auch aus dem VroniPlag-Umfeld, bereits totgesagt, bevor das Neugeborene das Laufen lernen konnte.
Moriturus vos salutat, scheint Heidingsfelder seinen Kritikern spöttisch zuzurufen.
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Seine Aktion fand auch Eingang in die Presse. Beispiele:
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Miriam Hollstein berichtete für Welt Online am 08.02.2013 zur Gründung des Portals PolitPlag unter dem Titel »Plagiatsjäger enthüllt jetzt gegen Bares« und erwähnt dabei auch: »Als „Plagiat-Stasi“ wird Heidingsfelder in einem (anonymen) Blog beschimpft.« [18]
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Max Biederbeck referierte am 09.02.2013 für die sueddeutsche.de über das Projekt und stellt die Frage nach “niederen Beweggründen“ und zitiert den Plagiatrechtsexperten Volker Rieble hinsichtlich dessen Beurteilung des Projekts mit den Worten: „Das sind vielleicht niedere Beweggründe, die zur Auswahl der Ziele führen, aber schuldig bleibt schuldig“. Rieble sieht ein “positives Ergebnis für die Wissenschaft“ und einen Gewinn an Transparenz im Vergleich zu anonym erhobenen Plagiatvorwürfen. [19]
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Am gleichen Tage artikelte Christoph Pagel für Focus Online »„Politplag“ überprüft Dissertationen gegen Geld« und urteilt, dass Heidingsfelder die Kultur unredlich erworbener Doktortitel ändern wolle und deshalb hole dieser »mit „Politplag“ zum Großangriff aus«. [20]
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Ebenfalls am 9.02.2013 präsentierte Ursula Pidun in spreezeitung.de unter dem Titel »PolitPlag – “Dr. Merkel plagiatsgeprüft plagiatsfrei”« ein Interview mit Prof. Dr. med. Ursula Gresser, welche als wissenschaftliche Projektleiterin auf PolitPlag benannt ist. [21]
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Es fällt auf, dass in den genannten Artikeln sich die Autoren einer expliziten Wertung enthalten. Stattdessen bieten Artikel wie auch Interviews mehr eine Art Referierung der Selbstdarstellung Heidingsfelders bzw. von PolitPlag und üben sich ansonsten in kommentarloser Zurückhaltung. In einem Beitrag von Armin Käfer über die “Jagd nach falschen Doktoren“ in der Online-Ausgabe der Stuttgarter Zeitung [22] findet sich immerhin eine kritische Randbemerkung, wenn er zum Projekt PolitPlag wertend vermutet: »Das eröffnet Schmutzkampagnen im Wahlkampf Tür und Tor.« Aber selbst hier bleibt offen, ob der Autor diesen möglichen Effekt damit Heidingsfelders Projekt anlasten will.
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Es fällt auch auf, dass es bei einigen Medien eine besonders restriktive Form der Zurückhaltung gibt. So scheint zum Beispiel SPIEGEL ONLINE vom PolitPlag-Projekt noch gar nichts gehört zu haben, obwohl der SPIEGEL in der Vergangenheit Heidingsfelders Person und Wirken durchaus einigen journalistischen Aufwand gewidmet hat. Hat der SPIEGEL den Plagiatsjäger irgendwann in 2012 aus dem Auge verloren?
Nun, immer noch besser als die rüden Stasi-Vergleiche von anderer Seite.
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Der Streifzug durch ausgewählte Kommentare, Blogs, Interviews, aufgeblüht im Garten der Causa Schavan, mit Ausgang von besagtem Stasi-Vergleich (Herles) hat in den Bereich des Wildwuchses einer Verunglimpfungs(un)kultur geführt, aber auch zu einigen geglückten Formgebungen intellektueller Zier- und Nutzpflanzungen. Der Weg führte auch vorbei an journalistischer Sachverhaltsbeschreibung wie auch stellenweise Stichwortjournalismus, der die Gefahr unfreiwilliger Promotingaktion nicht zu realisieren scheint.
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Wie auch immer, einen zumindest wird das alles nicht tangieren: Martin Heidingsfelder, der für sich in Anspruch nehmen kann, das Descartes-Axiom “Ich denke, also bin ich“ neuzeitlich adaptiert zu haben: “Ich promote mich, also bin ich.“ Seine Unterstützer mögen das als Kompliment nehmen, seine unnachgiebigen Kritiker als Quintessenz eines Psychogramms.